Viele Diversity-Bemühungen konzentrieren sich darauf, Klischees und Vorurteile positiv umzudeuten und aufzuwerten. Damit tradieren alte Sichtweisen in neuen Konzepten und werden in ihnen fort- und festgeschrieben. Gut gemeinte Diversity-Maßnahmen verengen genau die Blickweite, die sie zu öffnen gesucht haben. Insbesondere in den drei dominierenden Themen des Diversity Managements, Demografie, Gender und Internationalität, finden sich zahlreiche Beispiele für Initiativen, die trotz bester Intentionen dem Potenzial von Diversität eher ungerecht werden.
Viele ältere Menschen stehen heute gesundheitlich sehr gut da. Obwohl sie oft jünger als ihr biologisches Alter und selbstbewusster sind, gehören „50+“ schon zu einer nur noch begrenzt leistungs- und einsatzfähigen Gruppe von Mitarbeitern. Bemühungen der Umdeutung bauen auf altersbedingt gesammelten Erfahrungen auf, die der Organisation einen Mehrwert bringen, wenn sie an Nachfolger weitergegeben werden können. Der demnach „erfahrene“ Mitarbeiter wird zum Lehrer oder Coach mit der neuen Aufgabe „Wissenstransfer“ – jedoch nicht unbedingt mit der entsprechenden Kompetenz bzw. Qualifizierung. Hinzu kommt: in ca. 10 Jahren werden mehr als die Hälfte der Mitarbeiter über 50 Jahre alt sein. Folglich gäbe es in vielen Organisationen mehr Lehrer und Coaches als produktive Mitarbeiter.
Die Vielfalt der Gender-Klischees zeigt sich ebenfalls im Arbeitsalltag. Die aktive Suche nach Frauen in Spitzenpositionen ist eines der großen Aushängeschilder der Diversity-Förderung. In der Stellenausschreibung findet sich der Wunsch wieder, die Unternehmensführung mit „weiblichen Kompetenzen“ zu ergänzen. Die „weiblichen Kompetenzen“ sind dabei nur ein Pauschalbegriff für Merkmale, die man Frauen zuschreibt oder anerzogen hat, ohne Garantie dafür, dass eine Frau sie besitzt oder, im Umkehrschluss, ein Mann sie nicht hat oder haben könnte. Die Kompetenz einer Frau wird unabhängig ihrer Qualifikation, ihres Werdegangs und ihrer Persönlichkeit darauf reduziert. Ein Mann wird genauso automatisch um diese Merkmale beraubt.
Migranten mit Fachkompetenzen werden gesucht, um die Lücken unserer Demografie zu schließen, aber auch um das Unternehmen um die „ Perspektive der ausländischen Kunden“ zu bereichern, die z. B. bei der Erschließung neuer Märkte im Ausland hilfreich ist. Meist implizit wird dadurch von ausländischen Fachkräften gefordert, dass sie in der Lage sind, ihr Herkunftsland und ihre Kultur so zu analysieren und reflektieren, dass sich daraus erfolgreiche Markt- und Wettbewerbsstrategien ableiten lassen. Die Erwartung kann, muss aber nicht zwangsläufig erfüllt werden. Kompetenzen in der Marktanalyse und Strategieentwicklung haben nicht an erster Stelle etwas mit der Herkunft zu tun.
Ein zielführenderes Verständnis von Diversität ist die Vielfalt in Kompetenzen und Fähigkeiten, Ideen und Interessen, Wissen und Erfahrung. Unabhängig von Alter, Geschlecht und Herkunft besteht ein Mensch aus einer individuellen Zusammenstellung dieser Eigenschaften und ist damit als Einzelner schon ein Träger von Kompetenz- und Talentvielfalt. In dieser Betrachtung ist Diversität ein Teil des Qualifikations- und Talentmanagements, der Mitarbeiterführung und der Wertschöpfungskette. Sie schließt ein, die Vielfalt des Marktes, der Kundenbedürfnisse und der Nachfrage zu begreifen und auf der Basis den Bedarf an Kompetenzvielfalt im Unternehmen zu erkennen, um entsprechende Angebote formulieren und die Nachfrage bedienen zu können. Die Kompetenzen gilt es unter den gegenwärtigen und zukünftigen Mitarbeitern zu suchen, finden, entwickeln und fördern – nicht sie zu unterstellen.
Das Management von Diversität fordert insofern eine ganzheitliche Sichtweise und die Definition, Konzeption, Umsetzung und das interne Marketing eines abgestimmten Projektportfolios.
Dieser Beitrag basiert auf dem Artikel „Umdenken statt umdeuten“ von Arlette Dumont du Voitel und Dr. Roland Dumont du Voitel, erschienen im initiative magazin 12/2013.