Innovation versus Identität – Philosophische Betrachtung des Change Management im Interview mit Michael Rasche

Vor einigen Wochen hatten wir die Möglichkeit, Michael Rasche bei uns im Office in Heidelberg begrüßen zu können und in einem persönlichen Gespräch kennen zu lernen. Michael war viele Jahre katholischer Priester und nannte auch eine langjährige Professur für Philosophie an der KU Eichstätt-Ingolstadt sein eigen. Um seine Frau heiraten zu können, beendete er 2016 seine Laufbahn in der Kirche und nahm seine heutige Tätigkeit als philosophischer Unternehmensberater auf. Aus dem Kennenlernen entstand das nachfolgende Interview, welches wir nun stolz präsentieren. amontis wünscht viel Spaß bei der Lektüre!

Philosophie und Unternehmensberatung - Wie passt das zusammen?

Nils Schäfer: In deinem aktuellen Buch „Philosophie in der Unternehmensberatung“ geht es um darum, wie die Philosophie in der Unternehmensberatung eingebracht werden kann. Kannst du uns erzählen, wo und welche Passungen bestehen und welchen Mehrwert die Philosophie für die Unternehmensberatung bieten kann?

 

Michael Rasche: Im Buch geht es konkret um das rationale Denken. Es geht darum, dass die Philosophie nicht irgendwie zufällig entstanden ist, sondern mit dem Versuch entstand, die Welt rational zu erklären und um Kriterien zu ringen, wie man sie erklären kann. Das ist – glaube ich – etwas, was heute sehr wichtig ist, weil in der heutigen Welt von „VUCA“ und Schnelllebigkeit Menschen mehr denn je in die Lage versetzt werden müssen, sich orientieren zu können: mit der Wirklichkeit klar zu kommen, um zu wissen, wie ich mich da jetzt eigentlich einordne. Da kann die Philosophie gerade in ihrem Kern als methodisches Denken helfen, mit dem Wust der Wirklichkeit klar zu kommen. Das ist das eine Thema. Das andere große Feld ist sicherlich dasjenige der Ethik. Hierbei geht es darum, dass unser Handeln sich immer an Werten orientiert, und die Philosophie hier die Frage stellt, was diese Werte konkret sind. Sind es Werte, die allgemein gültig sind oder sind es Werte, die sehr subjektiv sind und die auch über kurz oder lang auch in die Irre führen, sei es einen selbst, die Gesellschaft oder ein Unternehmen. Die Philosophie hilft auch da zu reflektieren, welche allgemein gültigen Werte es gibt und geht die prinzipielle Frage an, welches Bild man eigentlich von sich als Mensch hat und was man im Leben erreichen möchte. Da geht es nicht um Lösungen, sondern um Hilfen darum, sich diesen Fragen zu stellen und selbst zu fundierten Antworten zu kommen.

 

Nils Schäfer: Philosophische Beratung ist im Kern also methodisches Denken?

 

Michael Rasche: Nicht ausschließlich, es muss aber dieses Fundament geben. Ein ganz großes Problem ist, dass der Name „Philosoph“ nicht geschützt ist d.h. jeder kann sich als Philosoph bezeichnen. Man muss auch sagen, dass ein Großteil derjenigen, die im Beratungsbereich tätig sind und das Wort „Philosoph / Philosophie“ auf ihrer Homepage führen, unter dem Strich Esoterik betreiben. Da ist mein Anspruch, weil ich auch von der Universität komme, ein ganz anderer. Die Frage ist schließlich, mit welcher argumentativen Grundlage wir arbeiten und was wir den Leuten weitergeben möchten. Philosophie ist ja nicht nur, eine Meinung zu haben, sondern auch, diese Meinung begründen zu können und begründet über diese Meinung sprechen zu können. Das ist ganz wichtig, denn sonst bin ich in der Esoterik oder in einer Ideologie. Es ist ganz wichtig, die Ebene der Rationalität nicht aus den Augen zu verlieren, damit man auch wirklich auf eine sinnvolle und tragende Weise leben und Unternehmen führen kann.

 

Nils Schäfer: Philosophie – Wie sieht das praktisch aus in der Beratung und im Unternehmen?

 

Michael Rasche: Es ist sehr unterschiedlich. Für gewöhnlich halte ich Seminare oder Workshops und gebe auch philosophischen Input. Mir ist es wichtig, diese Mischung zwischen Theorie und Praxis zu haben. Ich will ein gewisses Verständnis für die Dinge  wecken. Das ist mein Anspruch als ehemaliger Professor – aber nicht nach dem Motto „So müsst ihr es machen“, sondern erst einmal will ich allgemein vorstellen, wie etwas überhaupt funktioniert, garniert mit Beispielen aus der Geschichte oder aus der aktuellen Welt. Beim Thema Digitalisierung zum Beispiel, welches Verhältnis Mensch-Technik bisher bereits in der Philosophie gedacht wurde. Es geht eben darum, dass Praxis ganz ohne Theorie irgendwann blind wird, umgekehrt aber auch die Theorie ohne die Praxis. Ich möchte nicht nur neue Inhalte einbringen, sondern vor allem befähigen, Situationen, die eigenen wie die beruflichen, anders aufgreifen und durchdringen zu können.

Veränderung und Identität

Nils Schäfer: Wir sind ja viel im Change Management unterwegs. Welche Chancen siehst du für die Philosophie in diesem konkreten Bereich?

 

Michael Rasche: Im Change Management geht es ja um die Frage, welche Veränderung können wir so akzeptieren, dass unsere eigene Identität nicht völlig verloren geht? Das ist der Punkt, an dem ich den Unternehmen unterstützen kann, wenn es darum geht, zu reflektieren und rational zu überlegen, was sie eigentlich wollen. Da wird es natürlich sehr spannend, wenn es um das Verhältnis von Identität und Innovation geht. Man kann aus der Philosophie sehr schön lernen, dass diese beiden Dinge immer nur in einem Zusammenhang gesehen werden können. Innovation heißt eigentlich nie, dass etwas völlig neu beginnt. Innovation ist immer nur eine Weiterentwicklung. Das Neue existiert immer nur in Abhängigkeit vom Alten. Das erfordert – und da hilft die Philosophie – Reflektion („Was bin ich?“ oder „Was habe ich?“) um festzustellen, was denn dieses Alte eigentlich ist, von dem aus wir starten.

 

 

Nils Schäfer: Wie Du uns vor dem Interview erzählt hast, bist Du lange Zeit als Pfarrer tätig gewesen. Uns würde interessieren, was man Deiner Meinung nach aus der Kirche für das Veränderungsmanagement lernen kann? 

 

Michael Rasche: Die Kirche ist natürlich etwas, das streng genommen kein veränderbares Produkt verkauft. Die Kirche hat eine Botschaft, die 2000 Jahre alt und in einer heiligen Schrift festgelegt ist. Es kann maximal darum gehen, wie dieses immer gleiche Produkt anders verpackt wird und daraus ergibt sich eine gewisse Festigkeit und ein bewusstes Verharren an der eigenen Identität. Es ist immer ein ganz feines, sensibles Austarieren und ein Spagat zwischen dem Beharren und dem Stolz-sein auf die Geschichte und die eigene Identität, aber natürlich auch der Einsicht, dass man sich ein Stück weit verändern muss, um diese Identität zu wahren. Innovation kann ja nicht heißen, seine eigene Identität komplett über Bord zu werfen – sondern erst einmal zu schauen, wie kann ich meine Identität auch bewahren, ohne mich jetzt gleich darin zu verfestigen. Veränderung ist ja kein Selbstzweck. Veränderung muss Sinn ergeben und die eigene Identität stärken. Ansonsten geht personenbezogen die eigene Person kaputt – oder das Unternehmen wenn man es auf Unternehmen bezieht. Es gibt da ein sehr schönes Zitat aus dem Roman „Der Leopard“ von Giuseppe di Lampedusa:

“ Alles muss sich ändern, damit es alles bleibt, wie es ist. „

Es ist eine Kunst, die Veränderungen anzunehmen und umzusetzen und trotzdem das zu erhalten, was einem wichtig ist.

Philosophie als grundlegende Methode

Nils Schäfer: Die Digitalisierung zwingt uns aktuell ja sehr konkret dazu, sich mit solchen Problemstellungen zu beschäftigen…

 

Michael Rasche: Ja, das ist eine spannende Thematik, weil durch sie das Bewusstsein für unser Arbeitsleben, aber auch für unser Menschenbild immer größer wird. Wenn wir dauernd lesen, wie viel unserer Arbeit von Maschinen abgenommen werden soll: was macht das denn jetzt mit uns, wenn wir uns jetzt über Arbeit definieren? Die Frage, wie können unser Leben bzw. unsere Tätigkeiten sinnvoll bleiben und wie gelingt das mit der Digitalisierung? Und da sind wir im Grunde schon bei der Philosophie. Da türmen sich doch recht große Fragen auf und die werden – glaube ich – immer massiver, je mehr die Digitalisierung voranschreitet. Es gibt in der Menschheitsgeschichte gewissen Wenden, an denen der Mensch immer mehr in den Hintergund trat. Er sah sich früher als die Mitte der Schöpfung, hier auf der Erde. Dann wurde auf einmal entdeckt, dass die Sonne gar nicht um die Erde kreist. Dann kam Darwin der den Menschen vom Affen abstammen ließ und jetzt kommt die Digitalisierung in einer Situation, in der unsere geistigen Kräfte als einziges übrig bleiben, woran wir uns noch festhalten können. Und sogar in diese Sphäre schreitet die Digitalisierung durch die künstliche Intelligenz immer weiter voran. Was also sind wir jetzt eigentlich, die wir hier auf diesem Planeten leben, wenn das, was uns auszeichnet, unsere kulturellen und auch geistigen Fähigkeiten durch Maschinen besorgt werden können?

 

Nils Schäfer: Wie rätst Du, damit umzugehen?

 

Michael Rasche: Diese Fragestellung, wie wir mit der neuen Technik umgehen sollen ist uralt und tauchte schon in der Antike auf. Damals stellte die Erfindung der Schrift ein großes Beben dar und brachte genau jene Fragen auf. Um 400 v.Chr. war es vor allem Platon, der die Erfindung und dauerhafte Benutzung der Schrift kritisierte. Er sagte, wenn wir all das, was wir aussprechen, direkt absichern und uns darauf verlassen, denken wir anders und verlieren an Gedächtniskraft. Genau das läuft doch heute ab: wir erleben im Internet genau das gleiche Phänomen. Wir können auf Wissen durch einen Tastendruck direkt zugreifen, weshalb das Wissen an sich auch eine immer marginalere Rolle spielt. Jetzt stellt sich die gleiche Frage und wir stehen dort, wo Platon einst stand: wie gehen wir mit dem Wissen eigentlich um und wie kommen wir zu dem Wissen, das wir wirklich brauchen? Es ist beruhigend zu wissen, dass das kein neues Problem ist. Es ist aber natürlich etwas Aufrüttelndes, das uns heute wirklich fordert.

 

Nils Schäfer: Eine schöne Analogie! Hier zeigt sich, wie hilfreich die Geschichte sein kann im Umgang mit aktuellen Herausforderungen. Was braucht es in Deinen Augen noch mehr für die Mitgestaltung der Digitalisierung?

 

Michael Rasche: Als ich jetzt vor ein paar Jahren in Dortmund einen Wahlkampf miterlebte, trat ein Wahlredner von der FDP auf mit dem Spruch „Ja, Bildung müssen wir heute neu aufrollen – heute muss kein Mensch mehr Latein lernen“. Aber so ist es nicht. Ich will keinen zum Latein lernen zwingen, aber es geht prinzipiell darum, dass in der Kunst oder der Kultur, in Fächern wie Geschichte, Religion oder Deutsch eben Orte sind, in denen wir wir etwas über die Geschichte und andere Menschen lernen und darüber, wie Menschen die Welt interpretiert haben. Daraus können wir viel lernen und genau das braucht es, wenn wir dem Phänomen der Digitalisierung angemessen gegenüber treten zu wollen. Dazu brauchen wir eine solide, humanistische Basis, weil nur dann haben wir die Möglichkeit, das Wissen, das wir auf Knopfdruck haben, auch einordnen zu können. Das ist ja die Kunst um die es gehen wird: es wird in der Zukunft nicht um Wissen an sich gehen, sondern um die Kunst, es einzuordnen. Da schließt sich in sehr schöner Weise der Kreis zur Philosophie, in der es eben genau darum geht, nicht nur den Inhalt an sich zu vermitteln – dann ist es ja eine Ideologie – sondern sich methodisch die Möglichkeit zu erschaffen, gültige Erkenntnisse zu erwerben.

 

Nils Schäfer: Womit sich der Kreis ein weiteres Mal schließt. An diesem Punkt bleibt uns nichts anderes übrig als uns bei Dir zu bedanken. Michael, herzlichen Dank für Deine Zeit und das spannende Gespräch.

Michael Rasche bietet auf seiner Seite neben Literatur auch spannende Denkanstöße in Form seiner Artikel, die zu lesen wir nur empfehlen können. Mehr von Michael Rasche gibt es hier!
 

Ansonsten laden wir ein zu diskutieren und freuen uns über jeden Kommentar!

 
Buchtipp: 
 
  
 

Zur Person:

Michael Rasche

PD Dr. phil. habil., Dr. theol.

Unternehmens- und Organisationsberater,
Privatdozent für Philosophie an der KU Eichstätt Ingolstadt,

Mehr unter: michaelrasche.eu

Nils Schäfer

Nils Schäfer ist Wirtschaftsingenieur und Junior Consultant bei amontis. In Ergänzung seiner technisch-wirtschaftlichen Ausbildung und Projekterfahrung in Lean- und Prozessmanagement-Themen studiert er neben seiner Beratertätigkeit Ethnologie und Philosophie, um den menschlichen und multikulturellen Aspekt in Projekten erfassen und effektiv adressieren zu können.

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