Charles-Henri Russon ist einer der Gründer des International Multidisciplinary Change Management (IMCM®) frameworks. Wir wollten gerne mehr über das Modell und den Ursprung erfahren.
Wir werden die Ursprünge des Referenzrahmens sowie seine wichtigsten Besonderheiten besprechen. Wir werden über die aktuelle Version von IMCM® sprechen und darüber, was wir für die Zukunft erwarten können.
Dieser Artikel wurde erstmals in unserem initiative*magazine #12,
„Die Veränderungslücke“, veröffentlicht.
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Ursprünge des Referenzrahmens IMCM®
[amontis] Herr Russon, Sie sind der Hauptinitiator des IMCM®-Frameworks. Wie ist die Idee genau entstanden und wie haben Sie mit der Entwicklung begonnen?
[Charles-Henri Russon] Zwischen 2002 und 2004 hatten unsere Freunde insbesondere von der UQAM (Universität von Québec in Montréal) solide Erfahrungen mit dem PMI®– Framework (Project Management Institute®) und den Zertifizierungen, wie dem PMP® (Project Manager Professional®), gesammelt. Damals stand das Change Management nicht im Fokus von PMI® und die Empfehlungen zur Umsetzung von Veränderungen konnten angesichts der zahlreichen Fehler bei IT-Implementierungen bis hin zu Produktportfolio-Reorganisationen stark kritiert werden. Offensichtlich fehlte hier etwas.
Es war uns wichtig, die Logik einer Zertifizierung beizubehalten, da sich sonst jeder als Change Manager bezeichnen kann und die Gesamtkosten hinter fehlgeschlagenen Veränderungen äußerst schmerzvoll sind. Für uns schien es unabdingbar, den Bereich des Change Management wie den Bereich des Projektmanagements zu professionalisieren.
Ich habe zu dem Zeitpunkt an der HEC Paris gearbeitet und meine Kollegin, Carole Lalonde, war Mitglied des Lehrstuhls für Change Management an der Laval-Universität in Québec als wir beschlossen, die Best Practices zum Thema Change Management zu sammeln und für ein 2-stufiges Zertifizierungs-System bei unseren Partnern einzureichen. Die erste Stufe dient dazu, das theoretische Wissen über das Framework zu vermitteln und die zweite, das praktische Know-how eines Change Managers anzuerkennen. Wir haben ungefähr 6 Monate gebraucht, um die Arbeiten von einem Dutzend Wissenschaftler- und Beraterteams zu sammeln und zusammenzubringen, um ein vollständiges und umfassendes Framework zu erstellen.
Dem Referenzrahmen haben wir den Namen International Multidisciplinary Change Management (IMCM®) gegeben, weil wir die Tatsache betonen wollten, dass echtes Change Management im Kern starke interkulturelle und interdisziplinäre Aspekte aufweist. Es ist nicht möglich, ein Mitarbeiterteam in einer Bank so zu verändern, wie Sie eine Walzstraße in der Metallindustrie verändern würden. Ebenso können Sie ein nordamerikanisches Team nicht auf die gleiche Weise verändern, wie Sie ein Team bestehend aus Europäern, Afrikanern oder Chinesen verändern würden.
Das IMCM®-Framework hat von Anfang an ein reichhaltiges Spektrum an Praktiken zusammengetragen und ist gut organisiert. Unterteilt in 9 Phasen und basierend auf einem agilen Prinzip sind die mit dem IMCM®-Ansatz entwickelten Change-Management-Maßnahmen in kürzester Zeit maßgeschneidert und besonders effizient, aber auch einfacher in die Praxis umzusetzen als die mit anderen, monolithischeren Methoden entwickelten Maßnahmen. Das ist die Reichhaltigkeit dieses Modells: Es enthält mehr als fünfzig Werkzeuge (Zuhör- und Analysetechniken bis hin zu Innovationsmethoden), mehr als dreißig Studien und Kartografien sowie ein Dutzend kombinierbarer Change Management Modi, je nach den Anforderungen der jeweiligen Situation.
In 15 Jahren haben wir das Framework kontinuierlich verbessert und aktualisiert. Wir haben gerade die 8. Ausgabe veröffentlicht. Der Schwerpunkt liegt weiterhin auf Best-Practice-Tools, die sich leicht in jede Strategie integrieren lassen. Wie jedes Framework wird es umso stabiler, je reifer es wird. Während sich der Inhalt nicht mehr so stark ändert wie zuvor, hat sich unsere Zusammenarbeit mit Universitäten stark weiterentwickelt. Einige von ihnen sind weltweit anerkannt, wie die Universität Sorbone Paris Cité, die Paris Descartes-Universität, die Universität Québec in Montréal (UQAM), das Collège Polytechnique von Lüttich, aber auch die IGA von Casablanca oder die Universität von Cheikh Anta Diop in Dakar (UCAD).
Wie viele Leute haben bisher oder arbeiten bis heute noch an dem Framework?
Aus den beiden Initiatoren haben wir uns nach und nach zu einem Kollektiv von mehr als 50 Experten und mehr als 300 Change Managern auf der ganzen Welt entwickelt, die ein aktiver Bestandteil des IMCM®-Netzwerks sind. Das Framework existiert derzeit in Französisch, Englisch, Deutsch, Italienisch, klassischem Arabisch und wird aktuell in weitere Sprachen übersetzt.
Über das IMCM® Framework
Was ist in Ihren Augen das Hauptmerkmal des IMCM®?
Nach 15 Jahren Praxis würde ich sagen, dass es drei Hauptmerkmale gibt: Es ist für alle Arten von Managern zugänglich. Dazu ist es sehr umfassend, insbesondere, wenn Sie alle möglichen Kombinationen zwischen allen Werkzeugen berücksichtigen. Letztendlich ist es sofort in einer breiten Palette von Situationen, Sektoren, Veränderungs- und Herausforderungstypen anwendbar. Und: um die Dynamik des Frameworks zu verstehen, benötigen Sie lediglich eine dreitägige Schulung.
Der Begriff “multidisziplinär” ist ein integraler Bestandteil des Frameworks. Warum ist Multidisziplinärität notwendig, um Veränderungen erfolgreich voranzutreiben?
Wenn Sie eine Organisation verändern möchten, werden Sie schnell merken, dass Sie die Logik eines jeden Berufs in dieser Organisation berücksichtigen und integrieren müssen. Jeder muss die Bedeutung der Veränderung verstehen. Jeder einzelne sieht seine eigene Arbeit gerne wertgeschätzt und gleichzeitig ist es selbstverständlich, sie zu modernisieren und weiterzuentwickeln. Dies ist der erste Grund, weshalb der multidisziplinäre Aspekt wichtig ist.
Zudem betreffen Veränderungen oft mehr als nur einen Beruf oder eine Kultur. Wenn Sie sich in Personen hineinversetzen können, gewinnen Sie Zeit, die tatsächlichen Probleme zu verstehen, den Widerstand zu verringern, eine höhere Akzeptanz zu erreichen oder einfach gesagt: bessere Ergebnisse zu erzielen.
Und schließlich muss das Team, das den Wandel vorantreibt, sowie die Lenkungsausschüsse häufig selbst multidisziplinär sein: mit spezifischem technischem Wissen und speziellen Kommunikationsfähigkeiten. Die Transversalität steht also im Zentrum des Wandels. Das Ende des Silo-Denkens und die vielen Schnittstellen bringen unterschiedliche Berufe und Disziplinen zusammen. Sie müssen schneller und besser miteinander kommunizieren. Auf diese Weise können in Unternehmen, 4.0-Fabriken und auf dem gesamten Weg der digitalen Transformation von Dienstleistungen neue Arten von Arbeitsplätzen entstehen.
Diesen multidisziplinären Ansatz nutzen zu können, ist wahrscheinlich einer der Schlüsselfaktoren für den Erfolg von IMCM®. Wir sehen aber auch, dass heutzutage die internationalen und multikulturellen Aspekte für Teams eine große Herausforderung darstellen.
Das Framework ist nicht nur eine theoretisch fundierte Arbeit, sondern basiert auch auf praktischen Geschäftsfällen. Wie genau haben Sie diese integriert?
Das war die Stärke des ersten IMCM®-Teams. In der Tat mussten wir für unsere akademischen Abteilungen Hunderte von Schulungsprogrammen zusammenstellen, Dutzende von Fachleuten treffen und auch die Umstrukturierung der Gesundheitssysteme, die Vereinfachung der Verwaltungsdienste, den Aufstieg des Online-Handels und der Online-Dienste sowie die Entwicklung von unterstützen Automatisierung von Produktionslinien, Implementierung eines Null-Fehler-Ansatzes oder Lean Management in Fabriken oder Logistikketten.
Das Framework ist eine hervorragende Zusammenfassung von Hunderten von Best Practices, die von Beratern, Projektmanagern, Änderungsmanagern, Abteilungsleitern oder Betriebsleitern geteilt werden. Das schätzen die Teilnehmer des Vorbereitungskurses für die IMCM®-Zertifizierung sehr.
IMCM® heutzutage
IMCM® wird immer beliebter und wächst vor allem im Ausland weiter. Was können Sie uns über diese Entwicklung erzählen?
Was für ein großartiges menschliches Abenteuer! Es ist so erfreulich, andere Change Manager zu treffen, die sich ihren eigenen Herausforderungen stellen müssen. Wir bleiben oft zu sehr auf unsere eigenen Ziele konzentriert. Einen Schritt zurück machen zu können ist wichtig. Was mich am meisten gestört hat, ist wahrscheinlich der kulturelle Unterschied vor dem Wandel. Um chinesische, marokkanische oder schweizerische Manager auszubilden, habe ich einen guten Einblick in die tatsächlichen Herausforderungen der Globalisierung bekommen.
Abgesehen davon, was ich aus der mehr als 15-jährigen Arbeit mit dem IMCM®-Netzwerk wirklich behalte, ist, dass es egal ist, welchen Job Sie machen und in welcher industriellen Logik Sie sich befinden, welcher Kultur sie sich zugehörig fühlen oder mit welchen Schwierigkeiten Sie konfrontiert sind. Die Wahrnehmungen, Prioritäten und antizipativen Fähigkeiten, die Sie letztendlich haben, stellen uns alle vor ähnliche Herausforderungen mit denselben tief verwurzelten Problemen.
Das Framework und die Zertifizierung wurden offiziell im Jahr 2009 veröffentlicht und die 8. Ausgabe des Referenzrahmens wurde kürzlich veröffentlicht. Wir können sehen, dass IMCM® jetzt eine Art Reifegrad erreicht, wie Sie sagten und dass das Framework immer stabiler wird. Können wir jetzt nur noch kleine Veränderungen erwarten?
Es ist ein bisschen widersprüchlich, aber seit der 5. oder 6. Ausgabe ist uns bereits aufgefallen, dass wir keine größeren Kernänderungen mehr hatten. Der Wortschatz wird immer ergiebiger. Neue Herausforderungen, neue Methoden oder neue technologische Möglichkeiten ermöglichen schnellere Veränderungen, aber der Kern – wie menschliche, technische oder wirtschaftliche Veränderungen zu unterstützen sind – bleibt stabil, universell und wesentlich. Wir alle brauchen mehr Agilität, aber die wichtigsten Prinzipien, die für einen agilen Workflow maßgeblich sind, werden jetzt allgemein bekannt und angepasst. Wir müssen schnell in den Transformationsprozessen bleiben, aber die wichtigsten Hebel oder Hindernisse wurden bereits identifiziert – sowie die Lösungen. Beispielsweise haben wir in der aktuellsten Version, Plattformen für die gemeinsame Nutzung und Online-Folgeprozesse hinzugefügt, da diese rasant zunehmen. Daher erhöhen wir effektiv die Anzahl der Tools, die innerhalb des IMCM®-Frameworks verwendet werden können, anstatt Änderungen an der Methodik selbst vorzunehmen. Daher können wir mit einigen Aktualisierungen der eigentlichen Toolbox weitere Veränderungen auf diese Weise vorhersehen. Eine der größten Änderungen wird jedoch wahrscheinlich von unserer Online-Plattform mit mehr Inhalten wie Pressestimmen, Kommentaren, Erfahrungsrückmeldungen und neuen Tools oder Ansätzen ausgehen.
Die Zukunft des IMCM®
Welche sind für Sie die nächsten großen Schritte für das Framework in absehbarer Zukunft?
Für 2020 werden wir uns tatsächlich darauf konzentrieren, die Zertifizierung populärer zu machen. Es ist entscheidend, dass eine Zertifizierung bekannt, geschätzt und weit verbreitet ist. Das IMCM®-Framework wird 10 Jahre alt, und dies ist das Beste, was wir uns für die Zukunft wünschen können.
Haben Sie irgendwelche Ratschläge für Jemanden, der mehr über IMCM erfahren möchte?
Sie können jederzeit die offizielle Website von IMCM® besuchen (www.imcm.eu) oder die Website von amontis, um herauszufinden, wie Sie sich als IMCM®-Experte zertifizieren lassen und unserem internationalen Netzwerk von Change-Managern beitreten können!
Wir danken Charles-Henri herzlich für seine Zeit und für seine Erklärungen.
Sie können ihn auf LinkedIn finden: https://www.linkedin.com/in/russon/ oder seinen Blog lesen: https://ch-russon.blogspot.com/
Dieser Artikel wurde erstmals in unserem initiative*magazine, Ausgabe #12, Die Veränderungslücke, veröffentlicht.
Über Charles-Henri Russon
Charles-Henri Russon ist derzeit Leiter des Weiterbilungsprogramms am Collége Polytechnique International in Lüttich, Belgien. Er arbeitet seit mehr als 30 Jahren für Organisationen, die sich zumeist rasant verändern, so wie Krankenhäuser, Industriekonzerne, Verwaltungen, Banken, aber auch für Organisationen mit kleineren Strukturen.
Er räumt ein, dass ein ordnungsgemäßes Management dieser Veränderungen stetig wichtiger wird und einen bemerkenswerten Wettbewerbsvorteil bietet, wenn es für das verantwortliche Team gut umgesetzt wird. Für ihn besteht kein Zweifel daran, dass ein erfolgreicher Change Manager ein wirklich wertvolles Kapital sein kann, da er die richtige Denkweise fördern und ein Team zusammenschließen kann, um die richtigen Ziele zu erreichen.
In Zusammenarbeit mit den Kollegen aus Québec, Kanada, entwickelte er die Idee, einen spezifischen, praktischen, umfassenden und zertifizierten Referenzrahmen im Bereich Change Management zu schaffen. Dieser Referenzrahmen ist heute unter IMCM® bekannt.